Aygül Özkan

zia-geschäftsführerin


„Rückzug in die Schmollecke gilt für mich nicht“

Aygül Özkan ist seit September 2020 Geschäftsführerin des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), dem Spitzenverband der Immobilienwirtschaft. 1971 in Hamburg geboren, studierte Aygül dort nach dem Abitur Jura.

 

Nach Referendariat und zweitem Staatsexamen absolvierte sie ein Trainee-Programm für Nachwuchsführungskräfte bei der Deutschen Telekom. In den folgenden Jahren hatte sie diverse Management-Positionen bei der Telekom und TNT-Post inne.

 

Zuletzt war sie Geschäftsführerin der PCC Services GmbH, einem Tochterunternehmen der Deutschen Bank.

 

Aygül Özkan, Geschäftsführerin Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA)


Ebenso machte Aygül politische Karriere. Unter anderem war sie von 2008 bis 2010 Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft (CDU) und Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Landesparlament. Von 2010 bis 2013 war Aygül Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit, Bau und Integration in Niedersachsen und damit Deutschlands erste Ministerin mit Migrationshintergrund. Bis 2021 gehörte sie dem Bundesvorstand des Wirtschaftsrates der CDU an. 

 

Ehrenamtlich setzt Aygül sich seit Ende der 90er-Jahre für die berufliche Entwicklung ausländischer junger Menschen sowie für Unternehmer mit Migrationshintergrund ein, gründete dafür mehrere Verbände und Stiftungen. Bis heute ist sie Vorstandsmitglied im Verband der Migrantenwirtschaft. Aygül ist Mutter eines erwachsenen Sohnes. 

 

F!F: Auf deiner Website steht: Der Mensch, der den Berg versetzen wollte, war derselbe, der anfing, kleine Steine wegzutragen. Warum ist das ein Lieblingsmotto?

 

Aygül Özkan: Wenn man eine Situation erlebt und möchte, dass sie anders wird, kann man sich natürlich ganz viel auf einmal wünschen – und scheitert dann vielleicht. Wenn man dicke Bretter bohren will, muss man mit dem Kleinen anfangen. Mit der entsprechenden Beharrlichkeit. 

 

F!F: Hast du dazu eine prägende Erfahrung gemacht?

 

Aygül Özkan: Ich glaube, das hat mit meinem Ehrenamt angefangen. Durch meinen migrantischen Hintergrund habe ich festgestellt, wie schwer junge Menschen es auf dem Bildungsweg und bei der Berufswahl haben, wenn sie zu Hause nicht die nötige Unterstützung erfahren. Mir war bald klar: Das darf nicht darüber entscheiden, was aus ihnen wird. Man muss Dinge flankierend tun, damit sie auch erfolgreich ihren Weg gehen. 

Erst war es ein kleiner Unternehmensverband, dann habe ich eine Stiftung mitgegründet. Mit dem Fokus, benachteiligte Jugendliche zu unterstützen. Später habe ich in meinem Ministeramt viele Projekte angestoßen, um sichtbar zu machen, dass man in diesem Land ganz viel werden kann. Wenn andere auch daran glauben und anfangen, ihren Beitrag zu leisten, entsteht eine große Bewegung.

 

„Meine Eltern haben eine große Rolle gespielt für das, was ich heute bin."

 

F!F: Aus dir ist ganz viel geworden. Haben deine Eltern dich unterstützt?

 

Aygül Özkan: In der Tat. Meine Eltern haben eine große Rolle gespielt für den guten Werdegang, für das, was ich heute bin. Sie sind ein Vorbild. In den 60ern haben sie sich in ein fremdes Land aufgemacht. Ohne Google, Wikipedia oder ein Smartphone mit Übersetzungsprogramm. Kaum etwas über das Land zu wissen, aber zu sagen: Ich mache mich auf. Ich möchte mein Leben verändern, und dafür will ich kämpfen. Diese Stärke, diese innere Unabhängigkeit, aber auch der Stolz, wenn man es geschafft hat: Das hat mich stark beeindruckt. Dass ich immer wieder aus meiner Komfortzone rausgegangen bin, hat viel damit zu tun.

 

F!F: Du sprichst von innerer Unabhängigkeit, also nicht unbedingt finanzieller?

 

Aygül Özkan: Genau, das hat nichts damit zu tun, ob man von Hause aus reich ist. Das waren wir nicht. Aber dieses unabhängige Denken habe ich von meinen Eltern. Dass man keine Angst haben muss, wenn man zum Beispiel den Job wechselt und feststellt: Das ist es nicht. Ich habe mal zu meinem Sohn gesagt: Am Ende setze ich mich an die Kasse im Supermarkt, da verdient man auch Geld, und das ist ein ehrenwerter Job. Insofern würde ich mich nie davon abhalten lassen, etwas Neues zu wagen.

 

Die Liebe zum Lesen, zur Sprache, zur Wortwahl habe ich früh entwickelt." 

 

F!F: Das klingt nach einem liberalen Elternhaus.

 

Aygül Özkan: Ja, sehr. Meine Mutter hat in der eigenen Schneiderei genauso gearbeitet und alles gemanagt wie mein Vater auch. Durch ihre Selbstständigkeit haben sie die Freiräume gehabt, sich trotzdem um meine Schwester und mich, um den Haushalt zu kümmern. Meine Mutter hat sich beispielsweise jeden Mittwochnachmittag Zeit genommen, und wir sind in die Bücherhalle gegangen. Das kann man im Nachhinein gar nicht genug wertschätzen: Die Liebe zum Lesen, zur Sprache, zur Wortwahl habe ich darüber früh entwickelt. 

Und mein Vater war im Elternrat engagiert. Auch für türkischstämmige Familien ungewöhnlich. Die meisten haben sich davor gescheut, aufgrund der Sprachbarrieren oder weil sie das Schulsystem nicht kannten. 

Also meine Eltern waren sehr liberal und haben sich genau angeguckt, worauf kommt es an, was ist gefordert? Um sich dann mit den Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung standen, einbringen zu können.

 

F!F: Hast du in deiner Jugend mal erlebt, dass du aufgrund deiner Herkunft benachteiligt wurdest?

 

Aygül Özkan: Ich glaube schon, dass es in der damaligen Zeit noch Vorbehalte und Rollenzuschreibungen gab. Ich habe nach der vierten Klasse eine Empfehlung allenfalls für die Realschule, eigentlich für die Hauptschule, bekommen. Meine beste Freundin hatte eine Empfehlung fürs Gymnasium – unsere Zeugnisse und Leistungen waren gleich. Mein Vater hat das vollkommen Richtige gemacht und ist mit dem Zeugnis zu der Schulleiterin des Gymnasiums gegangen. Dieses Muster gab es leider, dass viele gesagt haben: Die Kinder aus Gastarbeiterfamilien werden sowieso nicht studieren, warum sollen sie sich auf dem Gymnasium quälen?

Als ich dann ein Abitur mit 1,6 abgeschlossen habe, habe ich das der Grundschullehrerin auf einem Klassentreffen zurückgespiegelt. Ich habe ihr keinen Vorwurf gemacht, nur gesagt: Man muss jungen Menschen Chancen eröffnen und nicht verbauen mit so einer Entscheidung. Die Zeit wird es ja zeigen. 

Das ist so ein Moment gewesen, wo ich erkannt habe: Du musst überzeugen, du musst dich sichtbar machen. Du musst wissen, welche Rechte du hast, welche Möglichkeiten.

 

Irgendwann hat man mich gefragt, ob ich nur meckern oder gestalten möchte."

 

F!F: Hat dich das in jungen Jahren politisiert? Im Referendariat hast du nebenher einen Verband für türkische Unternehmer gegründet, 2004 bist du Mitglied der CDU geworden. 

 

Aygül Özkan: Anfang der 90er gab es Übergriffe auf Asylbewerberheime und schlimme rechte Angriffe. Das hat mich als junger Mensch beschäftigt. Ich habe mir gesagt: Wenn du draußen auf der Straße bist und die Menschen nichts Gesprochenes von dir hören, dann bist du für die eventuell genauso ein Feindbild. Also muss ich stark sein, in dem, wie ich mich artikuliere, wie ich mit Menschen umgehe. Und ich habe mich dann aufs Ehrenamt fokussiert, um anderen zu helfen. 

Über die Verbandsarbeit kam ich immer wieder in Kontakt mit Behörden und Politikern. Irgendwann hat man mich gefragt, ob ich denn nur meckern oder auch gestalten möchte. Das hat mich bei der Ehre gepackt. Das war der Grund, warum ich in die CDU eingetreten bin

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F!F: Du hast schon früh Führungsrollen eingenommen. Welche Stärken bringst du dafür mit?

 

Aygül Özkan: Nach dem zweiten Staatsexamen habe ich einen Einstieg über ein Trainee-Programm für Nachwuchs-Führungskräfte gewählt. Das war die erste Runde, die die Telekom damals aufgelegt hat. Die haben experimentiert, ich habe experimentiert. Wir haben uns nur für ein Jahr festgelegt. Keine Garantie, dass man danach weiterbeschäftigt wird und einen festen Job in einer Abteilung hat. Die Herausforderung war, in diesem Unternehmen seinen Platz zu finden. Plus gecoacht zu werden, in Etappen mehr Verantwortung zu bekommen. Und sich einen Bereich zu suchen, der neu aufgebaut wird. Wo jemand gebraucht wird, der anders denkt und nicht bereits jahrelang denselben Pfad gegangen ist. 

Das ist eigentlich der rote Faden in meinem Lebenslauf. Was auch immer gleich war an der Herangehensweise: Man muss Empathie mitbringen, Menschen mögen und motivieren können. Ich gehe Projekte ja nicht alleine an, sondern im Team. Wenn man es schafft, andere mitzunehmen, dann ist man erfolgreich.

 

„Von einem Tag auf den anderen wurde ich die ,muslimische Ministerin'."

 

F!F: Du bist in deinen Ämtern immer als Vorbild gesehen worden. Hat das manchmal auch belastet, zum Beispiel als du Ministerin wurdest? 

 

Aygül Özkan: Das hat mich schon überrascht: Von einem auf den anderen Tag wurde ich die „muslimische Ministerin“. Muslimin war ich vorher auch. Aber dieses Hervorheben ist natürlich eine Sache der Medien, um zu zeigen, Muslime können bei uns auch was werden. Gut, habe ich gedacht, wenn das das Vehikel ist, um die Leute zu erreichen, dann ist es so. Für mich war es wichtig, zu zeigen, in diesem Land können wir auch Ministerinnen werden: Frauen mit Migrationshintergrund meinetwegen, vor allem aber starke, erfolgreiche Frauen, die Ressorts wie Gesundheit, Bau oder Soziales mit einer hohen Etat-Verantwortung. 

Wenn ich eine Tür aufstoße, haben andere es leichter durchzumarschieren. Dafür lohnt es sich, hart zu arbeiten.

 

F!F: Persönlich beleidigt sein darf man also nicht in exponierter Stellung.

 

Aygül Özkan: Es gab eine Situation, wo ich sehr getroffen war. Als ich meinen Eid im Landtag mit dem Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ abgelegt habe, titelte die Bild-Zeitung: „Welchen Gott meint Frau Özkan?“ Ich habe gedacht, so viel Dummheit kann überhaupt nicht existieren. Natürlich schwöre ich auf die Verfassung! Ich bin Juristin und jeder, der mal in die Landesverfassung und unser Grundgesetz guckt, weiß das. Und in den drei großen monotheistischen Glauben haben wir ein- und denselben Gott. Punkt. 

Als ich ein Jahr später zu einer Audienz zum Papst geladen wurde, habe ich als einzige Zeitung die Bild-Zeitung informiert. 

Rückzug in die Schmollecke gilt für mich nicht, nach dem Motto „Ich werde immer diskriminiert, anders behandelt oder übergangen“. Nach vorne gehen, Probleme ansprechen, überwinden: Das hilft mehr. 

 

„Ich kann mir vorstellen, wie man die Zukunft der Städte anders gestalten kann."

 

F!F: Ist das heute auch dein Ansatz als Geschäftsführerin des Zentralen Immobilien Ausschusses?

 

Aygül Özkan: In den Austausch gehen, Meinungen zusammen führen, Positionen erarbeiten und sich nicht davon abbringen lassen: Genau das braucht der Verband auch. Gerade in der Corona-Krise. Das ist wieder eine Herausforderung, hier etwas zu verändern. Ich war Gesundheits- und Bauministerin und kann mir vorstellen, wie man die Zukunft der Städte und unseres Zusammenlebens anders gestalten kann.

 

F!F: Und wieder bist du „die Frau“ an der Spitze.

 

Aygül Özkan: Die Themen sind hier nicht anders als in der Wirtschaft: Wir haben viel zu wenige Frauen in den Führungsebenen der Immobilienwirtschaft. Nicht nur auf Vorstandsebene, sondern auch der Ebene darunter, die dann hereinwachsen können. 

Ich kämpfe dafür, dass Frauen gefördert werden, im Sinne von sichtbar gemacht werden. Das versuche ich im Verband durch die Gremienbesetzungen. Oder indem wir bei Veranstaltungen Frauen zu Fachthemen als Keynote-Speakerinnen nach vorne stellen. Ich bin eine Netzwerkerin und führe bewusst Menschen zusammen, wenn ich weiß, dieser oder jener sucht ein bestimmtes Profil. So etwas braucht Systematik und langen Atem.

Veränderungen entstehen immer dann, wenn es Krisensituationen gibt.

 

F!F: Glaubst du, dass Druck von außen hilft?

 

Aygül Özkan: Wenn eine Branche immer erfolgsverwöhnt war wie die Immobilienbranche in den letzten zehn, 15 Jahren, besteht die Gefahr, dass man einen Veränderungsbedarf nicht sieht. Veränderungen entstehen oft  dann in den Branchen, wenn es Krisensituationen gibt. Weil ESG-Kriterien eine Rolle spielen, Klima-Neutralität, die Zinsentwicklung, kann man nicht so weiter machen wie bisher.

Da können Frauen sich in ihrer Art beweisen, nicht silomäßig zu denken, sondern alle mitnehmen zu wollen. Ich will nicht sagen, dass nur Frauen so sind, aber das sind Attribute, die sie durchaus mitbringen. Deswegen liegt in dem Veränderungsprozess eine Riesen-Chance, auch den Anteil der Frauen zu erhöhen. 

 

F!F: Wir wünschen, dass du weiter viele Steine in Bewegung bringst. Vielen Dank!

 

Redaktion: Liane Borghardt