Stephanie Birkner

apl. Prof.in, Geschäftsführerin / CVO ZUKUNFT.unternehmen gGmbH


„Schaut, was für euch passt“

Nach der Promotion im Fachbereich „Business Consulting“ und der Ausbildung zur psychologischen Beraterin hatte Stephanie Birkner die bundesweit einzige Juniorprofessur „Female Entrepreneurship“ an der Universität Oldenburg inne. Nach diesen sechs Qualifikationsjahren lehrt und forscht sie bis heute als außerplanmäßige Professorin weiter zum Thema und begleitet unter anderem die Initiative FRAUEN IN FÜHRUNG (F!F) wissenschaftlich. In einem Geschäftsführungstandem leitet die 40-Jährige den Innovations-Inkubator „ZUKUNFTunternehmen“, einem An-Institut der Universität. Stephanie ist verheiratet und hat zwei Söhne. Im Gespräch mit F!F erzählt sie, warum Pippi Langstrumpf sie inspiriert oder sie gerne auch männlichen Kollegen Kaffee einschenkt.  

F!F: Woher kommt deine Begeisterung für das Thema Gründung?

 

Stephanie Birkner: Tatsächlich war meine Mutter immer selbstständig, weil sie einen Beruf gewählt hat, den es damals noch nicht gab und den sie selbst mit aufgebaut hat. Als Lebensmittelchemikerin hat sie früh eine Form der ganzheitlichen Ernährungsberatung bei Allergien und Unverträglichkeiten entwickelt. Ich habe also als Kind erlebt: Wenn es etwas nicht gibt, schaffe es dir selber. Das hat mich sicher geprägt. Ich bin zudem in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem gesagt wurde: Man lernt nicht nur einmal und übt dann immer ein- und denselben Beruf aus. Sondern man wird viele Berufungen finden. Gründung zum Beispiel kann auch Teil einer Erwerbsbiografie sein. 

 

F!F: Deine Juniorprofessur „Female Entrepreneurship“ war auch berufliches Neuland. Inwiefern sind Gründungsforschung und Gründungsszene maskulin geprägt?

 

Stephanie Birkner: Das fängt schon damit an, dass wir in der Entrepreneurship-Forschung mit Konzepten und Modellen von beispielsweise Sombart oder Schumpeter arbeiten, die zu einer Zeit entstanden sind, in der Frauen gesellschaftlich noch einmal weniger als heute eine wirtschaftliche Rolle zugestanden wurde. Das schlägt sich auch in deren Theorien nieder, die damit nur vermeintlich geschlechtsneutral sind. Lange wurde das nicht weiter reflektiert. Auch in der Gründungsszene herrscht ein klares Bild: Vor allem weiße, mittel alte, eher sogar westdeutsche Männer prägen auf Entscheidungspositionen die Gründungsstrukturen und -prozesse. Sie bestimmen damit, wer wie erfolgreich gründen kann. Das wirkt sich zum Beispiel auch auf die Finanzierungchancen von Innovationsvorhaben aus. Das geschieht nicht vorsätzlich böswillig, sondern zumeist unbewusst. Wir sind menschlich darauf angelegt, zu unterstützen, was uns gleich ist. Wenn eine junge Hightech-Gründerin vor lauter männlichen Vorständen präsentiert, passt sie gleich doppelt nicht ins Bild – weder gleicht sie der Gruppe noch werden ihr fachliches Profil und ihre unternehmerischen Ambitionen mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht, was zu Irritationen und damit leicht zu Voreingenommenheit führt.

Stephanie Birkner, apl. Prof.in, Geschäftsführerin / CVO ZUKUNFT.unternehmen gGmbH


 

„Vorbilder sind wie ein Büffet – die Mischung macht’s. Lerne von möglichst vielen und unterschiedlichen Menschen.“

 

F!F: Fehlen die sichtbaren, weiblichen Vorbilder?

 

Stephanie Birkner: Weibliche Rollenvorbilder sind wichtig. Aber von den wenigen, die es gibt, wird in den allerwenigsten Fällen eine als alleiniges Vorbild passen. Also schlage ich gerne vor: Schau dich um, welche Menschen dir zu unterschiedlichen Themen ein Vorbild sind und setze sie als dein inneres Team zusammen. Vorbilder sind wie ein Büfett – die Mischung macht’s! Lerne von möglichst vielen und unterschiedlichen Menschen. Bediene dich bei Haltungen und Handlungsweisen in all ihrer Vielfalt.

 

F!F: Hast du selbst so ein inneres Team? Du erwähntest ja schon dein Elternhaus. 

 

Stephanie Birkner: Ich brauchte tatsächlich irgendwann ein Vorbild-Team, das nicht zwischen Privat- und Arbeitswelt unterscheidet, weil beide in meinem Lebensentwurf nur als Einheit stattfinden können. Meine Großmutter ist ein großes Vorbild aus dem privaten Umfeld, da sie sehr offen auf Menschen zuging. Das ist mir auch im Beruflichen sehr wichtig: dieses Interesse an anderen, diese Wertschätzung von Unterschiedlichkeit. Eine Kollegin wiederum hat mir vorgelebt, wie man für das eintreten kann, was einem wichtig ist, auch wenn es ein privates Thema im beruflichen Umfeld ist: Sie bat offen darum, bei einer Sitzung zu bestimmten Zeiten Pausen zu machen. Denn da habe sie Stillzeit. Außerdem habe ich auch literarische Vorbilder. 

 

F!F: Wer gehört dazu?

 

Stephanie Birkner: Zum Beispiel Pippi Langstrumpf. Sie steht für die Haltung: Ich geh erst einmal davon aus, dass ich alles kann und probiere es aus. Klappt es dann nicht direkt auf Anhieb, entscheide ich, ob ich es selber lernen möchte oder ob ich mir lieber einen Menschen mit der Fähigkeit suche und es dann mit diesem gemeinsam angehe. Ich mag auch Mary Poppins: super streng, aber auf eine charmante und humorvolle Art. Sich als Führungskraft durchzusetzen, ohne dabei hart werden müssen und zu verbiestern, das ist ein Weg, der mir gefällt. 

 

„Mir fehlt der Gedanke, gemeinsam Erste zu sein.“

 

F!F: In Hochschulgremien wie der Berufungskommission müssen 40 Prozent Frauen vertreten sein. Hilft die Quote, um mehr Professorinnen zu gewinnen? 

 

Stephanie Birkner: Ich halte die 40-Prozent-Quote für einen wichtigen ersten Schritt, damit Frauen diesen berühmten Stuhl am Tisch bekommen und sichtbar sind, wenn er nicht entsprechend besetzt ist. Aber: Wenn eine Frau Gremienarbeit erbringt, die für sie um ein vieles mehr Aufwand bedeutet als für andere, muss das Ausgleich finden. Und den gibt es bisher zumeist nicht. In manchen Fakultäten arbeiten ja sehr wenige Frauen. Wenn die immer diese Quoten erfüllen müssen, forschen sie in dieser Zeit nicht, lehren nicht, engagieren sich nicht in Netzwerken. Das heißt, was eigentlich als Vorteil gedacht ist, wird ihnen zum Nachteil. 

 

F!F: Wie könnte ein Ausgleich aussehen?

 

Stephanie Birkner: Mir fehlt der Gedanke, gemeinsam Erste zu sein. Man kann Positionen ja durchaus im Tandem besetzen, auch Frau-Mann. Und so die 40-Prozent-Quote erfüllen. Sonst wird ein Über-Engagement der Frauen erzwungen. 

 

F!F: Und dieses Über-Engagement ist unattraktiv.

 

Stephanie Birkner: Es zerstört sogar die Karriere. Der wissenschaftliche Bereich ist gerade in den ersten Qualifikationsjahren hoch kompetetiv und nicht gerade familienfreundlich, zumindest in Deutschland. Gleiches gilt für die Gründungsszene.

 

„Ich habe mich davon gelöst, den extremen Stereotypen entsprechen zu wollen, die da draußen herrschen.“

 

F!F: Du hast dich trotzdem getraut, die Juniorprofessur mit zwei kleinen Kindern anzutreten. 

 

Stephanie Birkner: Ich habe das Wissenschaftssystem zumindest bei Arbeitszeiten und -orten als flexibel erlebt. Mich hat das dazu gebracht, den Versuch zu wagen. Was mir bis heute unglaublich hilft: Ich habe mich davon gelöst, den extremen Stereotypen entsprechen zu wollen, die da draußen herrschen. Sobald das erste Kind geboren war, habe ich in der wissenschaftlichen Welt angeblich meine Karriere aufs Spiel gesetzt. Und in der privaten Welt war ich eine vermeintliche Rabenmutter, weil ich weiter gearbeitet habe. Ich fand beides furchtbar. An diesem Punkt habe ich beschlossen: Wenn das die Ideale sind, wenn es nur ein entweder oder gibt, dann möchte ich gar nicht in diese Systeme bestmöglich rein passen! Das bedeutet, tagtäglich herausgefordert zu sein, mein eigenes „Dazwischen“ zu finden. Genau diese Suche ist aber auch ein Geschenk. Man fährt nicht fest, entwickelt sich stetig weiter. 

 

„Heute formuliere ich ganz klar, wann ich Ressourcen habe oder nicht. Ob die Gründe im Privaten oder Beruflichen liegen, spielt keine Rolle.“

 

F!F: Was bedeutet das konkret für deinen Alltag?

 

Stephanie Birkner: Ich habe mich von der Vorstellung verabschiedet: Es gibt Woche und Wochenende. Oder: Wirkliche Arbeit findet nur zwischen 9 und 16 Uhr statt. Ich unterscheide stattdessen zwischen Qualitätszeit mit der Familie und Qualitätszeit im Beruf. Ich verzichte bis heute viel auf Schlaf. Aber auch das war eine bewusste Entscheidung nicht gegen, sondern für etwas. Weil es mir dann eben manchmal einfach wichtiger ist, mit den Kindern im Hühnergarten Johannisbeeren zu pflücken. Am Projekt arbeite ich dann weiter, wenn die zwei schlafen.

 

F!F: Wie kannst du im beruflichen Umfeld für die Vereinbarkeit von Privat- und Arbeitsleben einstehen?

 

Stephanie Birkner: Heute formuliere ich klar, wann ich Ressourcen habe oder nicht. Ob die Gründe im Privaten oder Beruflichen liegen, spielt keine Rolle. Also sage ich auch: Vor acht Uhr kann ich nicht, da bringe ich mein Kind zur Schule. Unser Team macht häufiger Meetings zwischen 21 und 22 Uhr, weil wir die Nachmittage dann auch mal frei haben. Unser kleiner Kosmos an Menschen, die zusammenarbeiten, entscheidet über den Rahmen, die Regeln und Routinen, die für uns funktionieren – und ganz wichtig: Wir sprechen offen darüber und hören einander zu, was wer braucht. Vor kurzem habe ich das Konzept des spannungsbasierten Arbeitens kennen gelernt: Da ging mein wissenschaftliches Herz auf! Was wir seit Jahren betreiben, hat einen Namen und wird erforscht, so dass wir von den Erfahrungen und Erkenntnissen anderer lernen können.

 

F!F: Erfahrung wird zu Erkenntnis. Treibt dich das an?

 

Stephanie Birkner: Ja, sehr! Zum Beispiel wenn es darum geht zum Thema gendersensible Führung Modelle zusammenzufassen, die die Erfahrungen aller Beteiligten auf eine gemeinsame wertschätzende Bewusstseinsebene heben. Ganz wichtig ist dann jedoch: Modelle und Konzepte sind Angebote, um sich auszutauschen, keine Ratschläge! Wenn es um Frauen in Führungspositionen geht, fehlt mir oft dieser Ansatz: Schaut, was für eure Organisation, euer Umfeld passt. Stellt jeder Person die Frage: Was brauchst du? Und hört gut zu. Stattdessen heißt es oft noch: Du musst…

 

„Gesellschaftliche Fürsorge möchte ich im Beruf nicht aufgeben.“

 

F!F: Ratschläge erschlagen die Vielfalt – hast du das selbst erlebt?

 

Stephanie Birkner: Mir wurde tatsächlich mehrfach in Trainings für Frauen in Führungspositionen gesagt: Schenke nie den Männern Kaffee ein! Aber das funktioniert so nicht für mich. Gesellschaftliche Fürsorge im Kleinen wie im Großen, die mir im privaten Umfeld sehr wichtig ist, möchte ich im Beruf nicht aufgeben. OK, ich soll mich nicht in die Service-Rolle begeben, den Punkt kann ich verstehen. Ich kann aber doch links und rechts neben mir Kaffee einschenken und darum bitten, die Kanne weiterzugeben. So entsteht ein genereller Impuls, gut gemeinsam für einander zu sorgen.

 

F!F: Worin besteht deine wissenschaftliche Begleitung von F!F?

 

Stephanie Birkner: Aktuell laufen Interviews mit etablierten Führungs- und Nachwuchskräften, Männern und Frauen: Was für Wünsche und Ansprüche haben sie? Will zum Beispiel überhaupt jeder junge Mann führen, oder tun sie es, weil es von ihnen erwartet wird? Wie werden Strukturen und Prozesse erlebt? Was braucht wer, um führen zu wollen und können? Danach wird es eine quantitative Studie geben, um in der Fläche herauszufinden, ob andere das auch so sehen. Dann können wir ableiten, was es tatsächlich an Veränderungen braucht. Besonders in der Immobilienbranche finde ich es extrem wichtig, dass Führungspositionen divers besetzt sind: Die Branche baut schließlich die Räume und erschafft die Quartiere, in denen wir künftig leben und arbeiten. Darüber sollte aus verschiedenen Perspektiven entschieden werden. Das Thema Frauen in Führungspositionen ist hier ein erster wichtiger Schritt.

 

F!F: Kannst du erste Erkenntnisse herausblitzen lassen?

 

Stephanie Birkner: Die Interviews machen klar: Bei dem Thema Frauen in Führungspositionen haben wir in der Immobilienbranche kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem. Deutlich wird auch, es wird nicht mit einer einheitlichen Lösung getan sein. Und: Es gilt, das Thema gemeinsam mit allen anzupacken! Besser zu verstehen, wie genau das aussehen kann, was es zuerst im System und in den Führungskulturen  zu gestalten gilt, das ist das Ziel der groß angelegten Branchenbefragung. Ich freue mich schon sehr auf die Vorstellung und Diskussion der Studienergebnisse im Herbst – und dann gilt es einmal mehr, bei dem Thema Frauen in Führungspositionen die Ärmel hoch zu krempeln und vom „Drüber reden“ in das  gemeinsame „Zukunft gestalten“ zu wechseln.

 

F!F: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Liane Borghardt.