Nicolai Andersen

Managing Partner Consulting Deloitte


„Was wir in Deutschland brauchen, ist eine drastische Veränderung“

Nicolai Andersen leitet seit Juni 2020 das Beratungsgeschäft bei Deloitte in Deutschland und Zentraleuropa. In über 20 Jahren in der Beratung begleitete er viele Unternehmen im In- und Ausland bei Transformationsprojekten und der Entwicklung neuer Geschäfts- und Betriebsmodelle. Intern trieb er als Chief Innovation Officer die digitale Transformation bei Deloitte voran.

 

Nicolai, der sich selbst mit einem Augenzwinkern als „Heißdüse“ bezeichnet, ist Jahrgang 1974 und lebt mit seiner Frau und vier Töchtern (14, 12, 12 und 10) in Hamburg. Das Interview verteilt sich auf zwei Zoom-Calls mitten in der zweiten Pandemie-Welle, im November und Dezember 2020.

 

F!F: Du hast dich viel mit Transformation und den Auswirkungen von Digitalisierung auf Geschäftsmodelle beschäftigt. Können Unternehmen mit gemischt besetzten Führungsteams tatsächlich flexibler auf Veränderungen reagieren?

 

Nicolai Andersen: Ja, Vielfalt macht Unternehmen definitiv anpassungsfähiger. Dabei geht es aber nicht nur um ein ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen, Vielfalt hat viele Dimensionen. Das Problem liegt darin, dass die Menschen in den Führungsebenen oft gleich gepolt sind, also den gleichen Werdegang, gleiche Werte und Ansichten haben. Das macht die Bretter, die gebohrt werden müssen, um etwas verändern zu können, sehr dick. 

Nicolai Andersen, Managing Partner Consulting Deloitte


F!F: Was definiert eigentlich ein Transformationsprojekt?

 

Nicolai Andersen: In den meisten Unternehmen kommt Transformation oft weder bunt noch besonders innovativ daher. Zum Beispiel gibt es im Finanzbereich viele etablierte Abläufe und Reports, die gleich aussehen und über die Zeit immer umfangreicher werden, ohne dabei zusätzliche Erkenntnisse zu liefern. Transformation heißt zu sagen, stopp, wir schmeißen diesen Report jetzt mal in den Mülleimer und überlegen, welche Informationen wir wirklich brauchen, um die strategischen Entscheidungen im Unternehmen zu treffen. Transformation braucht eine kulturelle Veränderung in der Organisation, die Fähigkeit zu hinterfragen und bereit zu sein, etwas anders anzuschauen und anders zu machen als es bisher gemacht wurde. 

 

F!F: Viele Unternehmen müssen neue Antworten finden auf Herausforderungen wie den Klimaschutz, die Digitalisierung und den gesellschaftlichen Wandel. Was braucht es, um Veränderungen in Unternehmen einzuführen? 

 

Nicolai Andersen: Die Unternehmensführung muss bereit sein für die Veränderung, also der oder die CEO und mindestens ein weiteres Vorstandsmitglied. Eine Faustregel ist, du brauchst ein Drittel des Führungsteams, das die Veränderung aktiv treiben will, und ein weiteres Drittel, das damit einverstanden ist. Wenn zwei Drittel dahinterstehen, kannst du mit dem letzten Drittel, das gegen die Veränderung ist, gut arbeiten. 

 

„Ohne zu pauschal werden zu wollen, aber in Konzernen kann es einem passieren, dass man als Manager darauf trainiert wird, gerade nicht mutig zu sein.“

 

F!F: Woran liegt es, dass sich Unternehmen oft schwer tun, gute Ideen auszuprobieren und umzusetzen?

 

Nicolai Andersen: Oft fehlt der Mut. Etwas anders zu machen als sonst, ist erstmal ein Risiko, denn wer garantiert mir, dass das richtig ist und erfolgreich sein wird? Es ist menschlich, denselben Fehler wie alle anderen zu machen und sich der Mehrheit anzuschließen, auch weil man dann keine Sanktionen zu befürchten hat. Ohne zu pauschal werden zu wollen, aber in Konzernen kann es einem passieren, dass man als Manager darauf trainiert wird, gerade nicht mutig zu sein. Denn um in einer großen Organisation weiterzukommen, kann es manchmal reichen, nur ein bisschen positiv aufzufallen und den erprobten Weg weiterzugehen, effizient und verlässlich, anstatt die Richtung zu wechseln. Das kann für viele Themen auch der richtige Weg sein, da eben effizient und verlässlich. Aber das Abweichen von der Norm wird dann etwas sehr Herausforderndes.

 

F!F: Wie können Unternehmen mutiger werden?

 

Nicolai Andersen: Mutiger zu werden ist die Aufgabe der Unternehmensführung. Sie sollte überlegen, was im Unternehmen verändert werden muss, um auch die nächsten 50 Jahre erfolgreich zu sein. Es hilft, Hierarchien im Unternehmen abzubauen, um offener für Veränderungen zu werden.  Aber Veränderungen sollten behutsam erfolgen. Ein 150 Jahre altes Maschinenbauunternehmen auf der Schwäbischen Alb wird nicht so sein wie Apple. Es ist wichtig, die eigenen Wurzeln und Stärken beizubehalten.

 

F!F: Viele Babyboomer gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Kommt der Wandel zu einer offenen Unternehmenskultur durch die nächste Generation Führungskräfte von selbst?

 

Nicolai Andersen: Ein klares Nein. Es gibt unglaublich transformationswillige und fähige ältere Menschen. Und es gibt Betonköpfe auch in der jungen Generation. Die Generationen zu kategorisieren, halte ich für genauso falsch wie die Geschlechter zu kategorisieren. 

 

„Was wir in Deutschland brauchen, um unseren Rückstand beim Frauenanteil in den Unternehmensführungen aufzuholen, ist eine drastische Veränderung.“

 

F!F: Blickt man auf den Frauenanteil in den DAX-Vorständen bildet Deutschland das Schlusslicht hinter Polen, Frankreich, Großbritannien, Schweden und den USA. Hat das mit der deutschen Mentalität zu tun? 

 

Nicolai Andersen: Ja, auch. Wir Deutschen kritisieren gerne. Steht eine Veränderung an, wollen wir erstmal alles gut durchdenken und überlegen, was die möglichen Konsequenzen sein könnten. Der deutsche Ingenieur macht sich gerne erstmal einen Plan mit 17 Annahmen, um dann zu sagen, das geht nicht, das schaffen wir nicht, das funktioniert bei uns nicht. Hinzu kommt, mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen, ist viel Aufwand, da gibt es keine schnelle Lösung. Erschwerend kommt hinzu, dass wir in Deutschland mit unserer Infrastruktur für die Kinderbetreuung weit zurück sind. Diese Probleme kommen zusammen und verstärken sich gegenseitig. Was wir in Deutschland brauchen, um unseren Rückstand beim Frauenanteil in den Unternehmensführungen aufzuholen, ist eine drastische Veränderung.

 

F!F: Wie sehr braucht es für diese drastische Veränderung politische Signale wie zum Beispiel das erweiterte FüPoG-Gesetz, das mindestens eine Frau im Vorstand großer Konzernvorstände vorschreibt?

 

Nicolai Andersen: Ich bin da hin- und hergerissen. Ich finde viel positiv an der Quote. Aus meiner Erfahrung in der Beratung kann ich sagen, Regulierung führt zu guten Innovationen. Wenn der Druck durch eine gesetzliche Vorgabe da ist, kann das im Unternehmen viel Energie freisetzen, wie sich das Ziel erreichen lässt. Trotzdem fühlt es sich für mich nicht ganz richtig an. Denn die Innovation ist quasi ein Ventil für den Druck, der Vorgabe gerecht zu werden. Als CEO kann ich mich bei einer Frauenquote also hinstellen und sagen, wir müssen das jetzt so machen, anstatt zu sagen, wir machen das, weil es gut für unser Unternehmen ist und uns voranbringt. Aber genau darauf kommt es ja an, dass die Veränderung intrinsisch motiviert ist und nicht die Folge von Zwang.

 

„Beratung und Familie sind durchaus vereinbar, wenn es das Unternehmen denn will.“

 

F!F: Du wurdest 2019 in die Rolle des Managing Partner gewählt. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Deloitte steht ganz oben auf deiner Agenda. Warum ist dir das so wichtig?


 

Nicolai Andersen: Die Erfahrung, wie es bei meiner Frau Charlotte und mir war, hat mich lange umgetrieben. Charlotte arbeitete, bevor unsere Kinder kamen, genau wie ich bei einer großen internationalen Beratungsfirma. Sie war sehr erfolgreich, erfolgreicher als ich. 2006 kam unsere erste Tochter Leonie zur Welt und nach der Elternzeit sagte die Firma zu meiner Frau ganz klar: Pass auf, du hast jetzt zwei Optionen. Entweder du gehst voll zurück in deinen Beratungsjob und bist vier Tage die Woche beim Kunden oder du bist raus aus dem Karriere-Track. Das war wie eine Ohrfeige. Meine Frau wollte verständlicherweise nicht reisen, unsere Tochter war ja noch klein und ist in den Support, in die Research-Abteilung, gewechselt.

 

F!F: Wie ging es weiter?

 

Nicolai Andersen: Anfangs hat ihr der Job im Research Spaß gemacht. Aber dann kamen junge Kollegen, frisch von der Uni und naseweis, die meinten, sie könnten sie hin- und herschieben und ihr sagen, was sie zu tun hat. Dabei war sie viel erfahrener im Job und stand zuvor auch in der Hierarchie weit über ihnen. Das war sehr frustrierend für sie. Sie kündigte und wechselte zu einer kleineren Beratung, wo sie Job und Kinder gut vereinbaren konnte und das Thema auch den Kunden gegenüber ganz offen kommuniziert wurde. Sie lief dort die Karrierestufen nach oben, bis die Firma von einem großen Beratungsunternehmen gekauft wurde. Da griffen dann bald wieder die klassischen Denkmuster, wie Beratung zu funktionieren hat. Kurze Zeit später kündigte sie. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, Beratung und Familie sind durchaus vereinbar, wenn es das Unternehmen denn will. 

 

F!F: Was tut ihr bei Deloitte, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen? Und wo steht ihr aktuell?

 

Nicolai Andersen: In unserem Core-Leadership-Team bei Deloitte Consulting sind drei von zehn Personen Frauen, also knapp 30%. Auf Partnerschaftsebene liegt der Frauenanteil bei nur sechs Prozent, ganz traurig. Wir wollen, dass es jedes Jahr mehr werden, aber es wird dauern, bis wir hier auf einen Frauenanteil von 40 % kommen. Wir haben neu eingeführt, dass in unseren internen Beförderungsrunden jetzt immer eine Partnerin mitentscheidet, damit das Gender Bias in den Diskussionen um die Partnerschaft rauskommt und die Beförderung einer Kandidatin nicht nur von Männern diskutiert wird. Bei externen Einstellungen geben wir unseren Headhuntern den Auftrag, uns für eine Partnerschaftsstelle zur Hälfte männliche und weibliche Kandidaten zu präsentieren. 

 

„Erfahrungen, die man im Job braucht, Organisationsgeschick, Empathie und Frustrationstoleranz zum Beispiel, werden nicht zwangsläufig im Unternehmen gesammelt.“

 

F!F: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ja nicht nur ein Frauenthema, sondern betrifft Männer genauso.  

Nicolai Andersen: Ja, wir merken auch bei Deloitte, dass der Wunsch vieler Väter, ihre Kinder zu betreuen und Elternzeit zu nehmen, deutlich zunimmt. Als 2006 meine älteste Tochter auf die Welt kam und ich vier Wochen Urlaub nahm, um nach der Geburt zu Hause zu sein, war das für meine Chefs noch absurd. Einer von ihnen sagte damals zu mir, was willst du denn in den vier Wochen zu Hause machen, deine Frau muss sich doch um eure Tochter kümmern, komm doch arbeiten! 

 

Heute ist klar, bei Deloitte müssen wir Väter genauso wie Mütter unterstützen, Elternzeit zu nehmen und ihnen Angebote für die Zeit nach dem Wiedereinstieg in den Job machen. Auch deshalb haben wir unsere Beförderungskriterien geändert. Interne Rollen, z.B. im Business Development, HR oder Research, die oft in Teilzeit gemacht werden und als „Mutti-Jobs“ verrufen waren, sind genauso wichtig wie die klassischen Berateraufgaben, um Karriere zu machen. Damit bieten wir Vätern und Müttern bei uns eine echte Perspektive, Karriere auch mit Kindern und in Teilzeit machen zu können. Der zweite Grund ist, wir wollen weg von den eindimensionalen Lebensläufen für eine Karriere. Erfahrungen, die man im Job braucht, Organisationsgeschick, Empathie und Frustrationstoleranz zum Beispiel, werden nicht zwangsläufig im Unternehmen gesammelt, sondern auch in der Kindererziehung, in ganz anderen Jobs oder auch in ehrenamtlichen Projekten. Als Unternehmen müssen wir offener für Brüche oder Pausen in Lebensläufen werden, auch im eigenen Interesse, um die richtigen Talente anzuziehen und lange bei uns zu halten.

 

F!F: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Anne Tischer, Vorsitzende von F!F

 

Nicolai Andersen, Managing Partner Consulting Deloitte