Magdalena Rogl

Diversity & Inclusion Lead, Microsoft Germany und Autorin „MitGefühl“

„Emotionen sind für alle da“

Magdalena Rogl, Münchenerin, Mutter, Managerin. Bei Microsoft Deutschland setzt die 37-Jährige sich als Diversity & Inclusion Lead für Gleichberechtigung und Vielfalt ein. Für ihren besonderen Werdegang von der Kinderpflegerin zur Führungskraft in der Digitalbranche wurde sie unter anderem als eine von „25 Frauen, die unsere Wirtschaft revolutionieren“ ausgezeichnet. Magdalena lebt mit ihrer Patchwork-Familie in München.

 

Mit F!F sprach sie über ihr Herzensthema und jüngst erschienenes Buch: „MITGEFÜHL. Warum Emotionen im Job unverzichtbar sind.“ 

 

 

F!F: Was hat dich dazu gebracht, dich mit dem Thema Emotionen im Job zu beschäftigen?

 

Magdalena Rogl: Für mich gab es eine Schlüsselsituation vor fünf, sechs Jahren. In einem Workshop ging es darum, einen persönlichen Leitsatz für uns selbst zu entwickeln. Was ja etwas sehr Emotionales ist. Ich habe sinngemäß formuliert, dass ich Menschen mit meinem pädagogischen und psychologischen Hintergrund dabei helfen möchte, die beste Version von sich selbst zu sein.

 

Ich war stolz, das für mich erarbeitet zu haben. Aus diesem positiven Gefühl wurde ich aber herausgerissen, als eine Kollegin auf mich zukam und meinte: „Lena, du bist viel zu emotional. Das untergräbt deine Autorität.“ 

Magdalena RoglDiversity & Inclusion Lead, Microsoft Germany und Autorin „MitGefühl“, Foto: © Thomas Dashuber


Ich war erst mal perplex, habe mich für das Feedback bedankt – und ein bisschen gebraucht, um meinen gekränkten Stolz zu überwinden und in die Tiefe zu gehen: Was bringt eine junge Kollegin dazu, so zu denken? Das war für mich der Anlass, viel zu dem Thema zu lesen, zu recherchieren und zu schreiben. 

 

Dass daraus jetzt ein Buch entstanden ist, liegt auch an der Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen Krisen, die wir erleben: Ich finde, wir brauchen mehr denn je Menschlichkeit, Empathie in der Arbeitswelt. Und durch die Corona-Pandemie haben wir alle uns in Video-Konferenzen in persönlicheren Situationen erlebt. Dadurch konnten wir privat und beruflich nicht mehr so voneinander trennen wie viele Jahre, Jahrzehnte davor. Das können wir als Chance für eine positive Veränderung der Arbeitswelt nutzen. 

 

F!F: Warum hatten Gefühle so lange im Berufsleben vermeintlich nichts zu suchen?

 

Magdalena Rogl: Da spielen verschiedene Dinge mit rein. Wir wachsen in einer Leistungsgesellschaft auf, sind in ihr sozialisiert. Auch kulturell hat Emotionalität bei uns keinen hohen Stellenwert. 

 

Aber unter professionell „nicht emotional“ zu verstehen ist ein Trugschluss! Denn wir können nur professionell sein, wenn wir unsere Emotionen bewusst wahrnehmen, reflektieren und damit umgehen. Tun wir das nicht, sind die Emotionen ja trotzdem da. Dann werden sie sich vielleicht unkontrolliert ihren Weg suchen, in bestimmten Situationen hervorbrechen und so eher hinderlich sein. Statt der wichtige Kompass zu sein, der sie eigentlich sind.

 

„Man sollte sich Gefühle neutral anschauen, wie Daten: Was sagt das jetzt über mich?“ 

 

F!F: Gegen Gute Laune bei der Arbeit hat ja niemand etwas. Schwieriger wird es bei Gefühlen wie Neid oder Wut.

 

Magdalena Rogl: Ja, das ist eine Grundfehleinschätzung, dass wir Emotionen in gut und schlecht einteilen. Also in Emotionen, die wir gerne wollen und Emotionen, die wir auf gar keinen Fall wollen. Aber das funktioniert nicht. Weil alle Emotionen natürlich da sind und zwar wertfrei. Also auch Neid oder Wut sind keine schlechten Gefühle. Sondern es gibt einen Grund dafür, dass sie auftauchen. Das heißt, Gefühle sind immer berechtigt. Ob sie auch in dem Ausdruck, in der Form oder in dem Zusammenhang Sinn machen, ist die weitere Frage. 

 

Erst mal sollte man sich Gefühle neutral anschauen, wie Daten: Was sagt das jetzt über mich? Tatsächlich war Neid lange eine Emotion, die ich überhaupt nicht haben wollte: Um Gottes Willen, das darf nicht Teil meiner Persönlichkeit sein! 

 

Wenn wir Neid aber als Botschaft betrachten, kann er uns viel darüber verraten, was wir uns vielleicht selbst auch wünschen, als unerreichtes Ziel sehen. Wenn ich merke, dass ein Neid-Gefühl aufkommt, versuche ich mittlerweile, mich nicht dafür zu verurteilen mit der inneren kritischen Stimme. Sondern eher mit Neugier zu betrachten: Was macht mich neidisch, was sagt mir dieser Neid?

 

Das hilft, Emotionen nicht ungefiltert auszudrücken, was durchaus negativ sein kann. Sondern ich nehme sie wahr, reflektiere sie und ziehe einen Schluss daraus. Dadurch kann ich viel gelöster mit ihnen umgehen. Und im besten Fall noch ein neues Thema, ein neues Ziel daraus mitnehmen. 

 

F!F: Wie verlässlich ist unsere eigene innere Stimme? Wir martern uns ja oft unnötig lange für einen Misserfolg statt uns über all das zu freuen, was gut gelaufen ist.

 

Magdalena Rogl: Das ist bei uns tatsächlich eine Mechanik, die mir in vielen Studien begegnet ist. Man nennt das „negativity bias“: Wir bewerten negative Situationen stärker und erinnern uns stärker daran als an positive Erlebnisse. Vor langer Zeit war das eine Überlebenshilfe. So dass wir wussten: Das ist schwierig, das ist gefährlich!

 

So funktioniert unser Gehirn immer noch ein bisschen. Das Schöne ist: Wir können üben, ein Bewusstsein für die positiven Situationen zu bekommen. Ich mache das heute beinahe täglich, indem ich aufschreibe, was schön war, worauf ich stolz bin. Oft sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die aber vielleicht größer sind als die negativen Dinge. Nur haben wir sie nicht so bewusst wahrgenommen. 

 

Das hängt auch mit unserer inneren Stimme zusammen, die per Voreinstellung oft negativ und verurteilend ist: Mit uns selbst sind wir unglaublich streng. Wir haben einen Anspruch an uns, den wir sonst an niemanden richten würden, oft auch vollkommen unrealistisch. 

 

Mein Ziel ist es, diese innere kritische Stimme zu einer Ratgeberstimme zu machen. Wenn ich in Versuchung komme, mich zu verurteilen, gehe ich einen Schritt zurück und überlege: Was würde ich einer Freundin, einem Mitarbeitenden raten?

 

„Frauen werden mit den vermeintlich schwachen Gefühlen in Verbindung gebracht.“

F!F: Du widmest dich auch dem Aspekt Gefühle und Geschlechtsstereotypen. Ich nenne mal zwei verbreitete: der cholerische Chef, die weinende Kollegin.

 

Magdalena Rogl: Ich muss gestehen, dass mir dieses Kapitel am schwersten gefallen ist. Weil ich davon überzeugt bin, dass wir nicht in einer binären Welt leben, und ich eigentlich nicht in diese Klischees reingehen wollte. Aber ich finde es wichtig, das so anzusprechen, wie es immer noch ist: Wir werden gesellschaftlich sehr früh in dieses binäre System eingeordnet. Und ordnen uns dann mehr und mehr – bewusst oder unbewusst – selbst darin ein. 

 

Ich bin ja gelernte Kinderpflegerin und wenn ich an die Zeit im Kindergarten zurück denke, fallen mir viele Situationen ein, die diese Klischees scheinbar bedienen. Zum Beispiel, dass die Mädchen immer mit Puppen spielen. Aber was ist das eigentlich? Das ist ein Kümmern, für Andere da sein! Bei den Jungs dagegen wird eher das Wilde, das Rowdyhafte gefördert. Und ihnen wird leider immer noch der altbekannte, aber einfach rassistische und diskriminierende Spruch vorgesagt: Indianer kennen keinen Schmerz. Was ist das denn für eine Aussage? Ein Kind darf einen Schmerz nicht so ausdrücken, wie es ihn gerade empfindet?

 

Das geht weiter und weiter. So dass Frauen mit den vermeintlich schwachen Gefühlen in Verbindung gebracht werden. Und bei Männern zum Beispiel Wut eher als Durchsetzungsstärke gedeutet wird. Wenn eine Frau wütend ist, wird sie schnell als hysterisch einsortiert. 

Das sind Stereotypen, die nach wie vor unseren Umgang miteinander stark beeinflussen. Es ist wichtig, dass wir uns darüber bewusst werden, um dann etwas ändern zu können. 

Buch „MitGefühl“ von Magdalena Rogl, Foto: © Thomas Dashuber


 

F!F: Dann wären Tränen oder Angst bei der Arbeit auch nicht mehr tabu?

 

Magdalena Rogl: Definitiv. Ich habe zum Beispiel bis jetzt bei jedem Abschied geweint. Vor allem, wenn es direkte Mitarbeitende waren – man hat viel Zeit zusammen verbracht, ist miteinander gewachsen… 

Deshalb ist es mir auch nicht mehr peinlich, wenn ein paar Tränen laufen. Ich wünsche mir, dass auch Männer oder männlich gelesene Personen mehr Raum bekommen, solche Emotionen ausdrücken zu dürfen. Auch Überforderung oder Angst. Unterm Strich gesagt: Emotionen sind für alle da. Wir sollten sie so ausdrücken und nutzen dürfen, wie wir sie empfinden.

 

„Egal, in welchem Bereich, in welcher Branche: Wir arbeiten immer mit Menschen zusammen.“

 

F!F: Du plädierst in diesem Zusammenhang für mehr „Selbst-Mitgefühl“ oder „Selbst-Bewusstsein“.

 

Magdalena Rogl: Ja, weil ich davon überzeugt bin, dass wir nur echte Empathie mit Anderen empfinden können, also uns in Andere hineinfühlen können, wenn wir selbst-bewusst sind, im eigentlichen Sinne des Wortes.

Also uns darüber bewusst werden: Was fühle ich, wie verhalte ich mich? Warum habe ich bestimmte Muster oder Sorgen? Warum macht mich etwas glücklich? Das ist aus meiner Sicht das wirkliche Selbst-Bewusstsein. Was dann in einem immer weiteren Schritt dazu führen kann, dass wir auch mutiger sind und ein stärkeres Auftreten haben. Weil wir stärker mit uns selbst verbunden sind.

 

F!F: Man spürt in vielem, was du sagst und schreibst, wie sehr du von deinen Erfahrungen als Erzieherin profitierst.

 

Magdalena Rogl: Ja, aber nach meinem Quereinstieg habe ich viele Jahre gar nicht darüber gesprochen. Ich habe versucht, meine Ausbildung verdeckt zu halten, weil mir das peinlich war. Ich dachte, ich habe nicht das, was die anderen haben. 

Mittlerweile bin ich so stolz auf meinen Werdegang, wie ich sollte. Weil ich dabei so viele Fähigkeiten im Umgang mit Menschen erworben habe, aber auch Wissen über Psychologie, Pädagogik. 

 

Egal, in welchem Bereich, in welcher Branche: Wir arbeiten immer mit Menschen zusammen. Da ist es unerlässlich, dass wir ein Verständnis dafür haben, wie menschliches Miteinander funktionieren kann. Deshalb war es die beste Grundlage, die ich hätte bekommen können. Nicht nur für meinen Beruf, sondern für mein ganzes Leben.

 

Sicher habe ich viele Dinge und Fachbegriffe nicht gelernt, die Kolleg:innen gelernt haben. Aber ich bringe eben diese Fähigkeiten und diesen Background mit. Das macht ja auch Diversität aus.

 

„Wir alle kennen das Gefühl, ausgeschlossen zu werden. Manche erleben das alltäglich.“

 

F!F: Führungskräfte müssen ja auch nicht alles besser wissen als ihr Team?

 

Magdalena Rogl: Genau. Für mich bedeutet gute Führung: Ich muss nicht alles besser wissen. Sondern ich möchte wissen, wie ich anderen dabei helfen kann, ihre Dinge besser zu tun. Wie ich ein Team gut zusammensetze, die Stärken der verschiedenen Personen so miteinander kombiniere, dass das Team gemeinsam noch erfolgreicher wird. Wie ich ein gutes Vorbild sein kann und Menschen den Raum gebe, wirkliches Selbst-Bewusstsein zu entwickeln.

 

Dann gibt es noch diesen aufgeladenen Begriff „Leadership“. Leadership muss nicht immer Personalverantwortung bedeuten. Für mich steckt dahinter eine Einstellung, die alle Menschen einnehmen können. Egal, ob es der Praktikant ist oder die CEO. Da geht es darum, wie das Wort schon sagt, voranzugehen, Verantwortung zu übernehmen, zum Beispiel auch für ein Thema oder ein Projekt und zu sagen: Das möchte ich umsetzen. Ich würde mir wünschen, dass wir jungen Menschen schon früh die Chance geben, Leadership zu leben. Das kann dazu beitragen, dass sie später gute Führungskräfte werden. 

 

F!F: Du verantwortest seit einem Jahr das Thema Diversity und Inclusion für Microsoft Deutschland. Welche Fähigkeit würdest du in deiner eigenen Stellenausschreibung hervorheben?  

 

Magdalena Rogl: Ganz grundlegend: Empathie. Bei Diversity und Inclusion geht es stark darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie divers wir alle sind. Wir alle. Dann natürlich im weiteren Schritt, diese Inklusion wirklich leben zu wollen. 

 

Ich finde den Begriff Inklusion etwas sperrig. Aber mir fällt es leicht, mir das Gegenteil anzuschauen, nämlich Exklusion. Also wenn jemand ausgeschlossen wird. Auch hier sind wir wieder beim Thema Empathie. Denn wir alle kennen das Gefühl, ausgeschlossen zu werden. Manche erleben das sehr stark und alltäglich. Für mich bedeutet Diversity und Inclusion, dass alle Menschen so sein können wie sie sind und sich zugehörig fühlen können. 

 

Das ist natürlich eine große Aufgabe, vor allem in einem riesigen Unternehmen, wo ganz unterschiedliche Menschen zusammen kommen. Aber es ist eine enorme Chance: Wenn wir keine Kraft mehr darauf aufwenden müssen, uns zu verstellen, bestimmte Aspekte unserer Persönlichkeit zu verstecken oder zu unterdrücken. Wenn wir als die Person geschätzt werden, die wir sind: Dann setzt sich ganz viel Kraft frei, die wir auch für unsere Arbeit nutzen können. 

 

Entsprechend kann es für Unternehmen nur das Ziel sein, sich klar für Diversity und Inclusion einzusetzen. Weil dadurch alle nachweislich erfolgreicher werden.

 

Interview: Liane Borghardt