Johanna Röh

Tischlermeisterin & Initiatorin Bündnis Mutterschutz für Selbstständige

„Solange ich mich zwischen Schwangerschaft und Selbstständigkeit entscheiden muss, weil ich mir beides nicht leisten kann, bin ich Feministin.“

Seit 1952 gibt es den gesetzlichen Mutterschutz für angestellte Frauen – für selbstständige dagegen bis heute nicht. Auch Tischlermeisterin Johanna Röh erlebt daher ihre Schwangerschaft im Jahr 2021 als existenziell bedrohlich für den eigenen Betrieb. Mit zunächst drei weiteren Frauen macht Johanna unter dem Claim #mutterschutzfueralle auf das Problem aufmerksam. Heute setzt sich ihr gleichnamiger Verein mit über 270 Mitgliedern auf bundespolitischer Ebene für Chancengerechtigkeit sowie Gesundheits- und Existenzschutz von schwangeren Selbstständigen ein. 

 

Im F!F-Interview berichtet Johanna über ihren Weg ins männerdominierte Handwerk, über die Bremswirkung von Geschlechterklischees und über das wirtschaftliche Potenzial, das gleiche Perspektiven für alle freisetzen. Die 37-Jährige lebt mit ihrem Partner und der gemeinsamen Tochter im niedersächsischen Alfhausen. www.mutterschutzfueralle.de

Johanna Röh © Jürgen Friedrich


F!F: Würdest du Tischlermeisterin als deinen Traumberuf bezeichnen?

 

Johanna Röh: Ja. Ich finde es einfach toll, dass ich als selbstständige Tischlerin jedes Projekt von Anfang bis Ende betreuen kann, von der Skizze und dem Entwurf bis hin zum Bauen und zur Montage. Dieser Prozess, vom Groben ins Feine zu kommen, ist für mich total befriedigend. Auch, weil ich dabei unterschiedlich gefordert bin. Die Kommunikation mit den Kundinnen und Kunden zum Beispiel und besonders den Werkstatt-Part finde ich super. 

 

F!F: Zuhören ist ein wichtiger Bestandteil deiner Arbeit?

 

Johanna Röh: Unbedingt. Denn meine Kunden und Kundinnen leben ja mit den Möbeln, nicht ich. Klar, ich möchte sie handwerklich gut machen, daran hängt mein Stolz. Aber vor allem höre ich erst mal zu: Was ist gewünscht? Kann ich das umsetzen? Letztlich ist es mein Ansporn, ganz viel zu ermöglichen. 

 

F!F: Ist das Handwerk intellektueller als sein Ruf? 

 

Johanna Röh: Es hält sich der Glaube, handwerkliche Arbeit sei nicht besonders intellektuell. Aber genau die Kombination ist die Herausforderung: Du musst etwas denken und umsetzen können. Das ist ein großer Anspruch an uns. Wir Handwerkerinnen und Handwerker haben da uns immer ein bisschen zu klein gemacht. 

 

„Es erfordert viel Feingefühl, um im Handwerk zu arbeiten.“

 

F!F: Rau, schwer, hart: Das sind Attribute, mit denen Bauen und Handwerk oft noch assoziiert werden.

 

Johanna Röh: Das ist auch ein Vorurteil, das wir irgendwo selber noch hegen. Aber im Gegenteil, es erfordert viel Feingefühl, um im Handwerk zu arbeiten. Als Tischlerin muss ich genau hingucken: Welche Proportionen brauche ich? Wie kann ich eine Kante brechen, so dass sich die perfekte Rundung ergibt, oder ein Furnier sauber schneiden? Das ist eine filigrane, detaillierte Arbeit. 

 

Klar muss ich beispielsweise auch mal etwas Schweres tragen. Aber wenn ich mir Pflegekräfte anschaue, die Personen aus dem Bett heben, umdrehen und so weiter – dagegen ist das, was wir machen, gar nichts. 

 

F!F: Hattest du früh Berührung mit dem Tischler:innen-Beruf? 

 

Johanna Röh: Nicht wirklich. Ich bin auf einem Hof aufgewachsen, komme also von Haus aus der Landwirtschaft. Aber ich fand Holz als Material schon immer interessant. Ich erinnere mich, dass ich mir als Kind Dinge angeschaut und gedacht habe: ,So etwas möchte ich auch mal bauen können.‘ Die Genugtuung, sich heute damit auszukennen, ist groß. Und vielleicht auch ein bisschen kindlich. (lacht) 

 

F!F: Gab es in deinem Umfeld Vorbehalte gegen einen vermeintlichen Männerberuf?

 

Johanna Röh: Absolut. Ich bin nicht mit einem besonders freien Geschlechterbild aufgewachsen. Für mich war es ein Trotzding zu sagen: Ich gehe dagegen an und beweise mir und Anderen, dass ich das kann! Mich dadurch zu arbeiten war anstrengend, aber auch ein wichtiger Prozess, um diese Vorbehalte für mich zu widerlegen und abzulegen. 

 

„Wir alle arbeiten am besten, wenn wir uns frei von Geschlechterklischees machen.“

 

F!F: Bist du bei deiner Arbeit in Neuseeland, Kanada oder Japan auch auf solche Stereotypen gestoßen?

 

Johanna Röh: Ja, gerade meine Zeit der Wanderschaft, das Arbeiten in verschiedenen Ländern und die Konfrontation mit unterschiedlichen Vorurteilen haben mir noch mal gezeigt, wie absurd das ist! Und was das mit einem machen kann: Wenn das Gegenüber einem spiegelt, man könnte bestimmte Sachen nicht, muss man so viel Energie aufwenden, um da heraus zu kommen und um einfach nur in Ruhe seine Arbeit zu machen. 

 

Ich finde es angenehm, heute klar zu haben: Wir alle arbeiten am besten, wenn wir uns frei von Geschlechterklischees machen. Denn das bedeutet, dass wir all‘ unsere Fähigkeiten wirklich anwenden, uns weiterentwickeln und uns nicht aufgrund irgendwelcher Bilder beschränken. Nach dem Motto: ,Ich bin ein Mann, und deswegen muss ich so und so...Oder: Ich bin eine Frau und deswegen muss ich anders…‘

 

F!F: Erst 14 Prozent der Azubis im Handwerk sind weiblich. Was rätst du jungen Frauen?

 

Johanna Röh: Als Frauen können wir bestimmte Skills nicht einfach entwickeln, ohne beobachtet und bewertet zu werden. Wenn man sich das bewusst macht, dann ist es leichter, damit umzugehen und sich nicht von Blicken oder Kommentaren irritieren zu lassen. 

 

Die meisten Jungs haben einen riesigen Vorsprung, weil sie immer schon mit in die Werkstatt genommen wurden. Da darf man als Mädchen entspannt sein und diesen Lernprozess mit akzeptieren.

 

Also: Probiere dich aus, und am Ende entscheidest du dich für oder gegen diese berufliche Richtung. Beides ist völlig in Ordnung.

 

F!F: Glaubst du, mehr Frauen würden den Betrieben gut tun?

 

Johanna Röh: Ich würde nicht sagen: ,Ja, weil sie dann weibliche Fähigkeiten mit in die Betriebe bringen.‘ Das drängt schon wieder in eine Art von Rolle. Aber ich glaube, ein gutes Miteinander auf Augenhöhe entwickelt sich leichter durch verschiedene Perspektiven in gemischten Teams. Und da gehören Frauen oder diverse Personen ganz selbstverständlich dazu. 

 

„Mir war bis zu meiner Schwangerschaft nicht klar, wie gravierend der Nachteil für mich als selbstständige Frau ist.“

 

F!F: Hast du sexistisches Verhalten erlebt?

 

Johanna Röh: Wandkalender mit Fotos von unbekleideten Frauen sind in den Werkstätten noch gängiger als wir das gerne hätten. Für mich ist es als Meisterin heute einfacher zu sagen ,Sorry, so läuft das nicht‘ als für eine Praktikantin oder Auszubildende. Ich fühle mich da auch in der Verantwortung. Sexualisierte Darstellungen, speziell von einem Geschlecht gehen nicht klar im Arbeitsumfeld.

 

F!F: Politisiert hat dich dann deine Schwangerschaft?

 

Johanna Röh: Ich hatte mich durch meine Arbeit vorher schon sehr viel mit Geschlechterbildern auseinander gesetzt. Aber mir war bis zu meiner Schwangerschaft nicht klar, wie gravierend der Nachteil für mich als selbstständige Frau ist, die eine Familie gründen möchte! Weil es keinen Mutterschutz für selbstständige Frauen gibt. Ich fand das absurd: Ich habe viel gelernt, viel Geld in die Hand genommen, meinen eigenen Betrieb aufgebaut, wurde dafür gelobt und auch ein bisschen gefeiert. Und dann stehe ich am Ende alleine da, wenn ich schwanger werde. Weil es im System keine Lösung für dieses ,Problem‘ gibt. 

 

F!F: Der Mensch neigt ja dazu, bestimmte Dinge als gegeben hinzunehmen.

 

Johanna Röh: Das wurde mir als erstes auch immer widergespiegelt: ,Andere haben das ja auch irgendwie geschafft.‘ Oder: ,Hätte man das nicht anders planen können?‘ Das fand ich nicht befriedigend. Selbstständige Männer bremst die Familiengründung kein Stück aus. Für mich als Frau aber bedeutete sie fast das Aus für meinen Betrieb. Ich war über Monate körperlich am Limit, die Aufträge verschoben sich, ich wusste nicht genau, was ich noch machen darf, ohne das Kind zu gefährden. Das hat mich so über die Grenzen gebracht, dass ich das nicht stehen lassen konnte. 

 

„Es haben sich viele selbstständige Frauen gemeldet, die in einer ähnlichen Situation waren.“

 

F!F: Du meinst also die doppelte Ungleichbehandlung: zum einen aufgrund des Geschlechts, zum anderen aufgrund der Selbstständigkeit?

 

Johanna Röh: Genau. Hier in meinem Büro steht das Schild: ,Solange ich mich zwischen Schwangerschaft und Selbstständigkeit entscheiden muss, weil ich mir beides nicht leisten kann, bin ich Feministin.‘

 

Und: Als schwangere, angestellte Tischlermeisterin erhalte ich sofort ein Beschäftigungsverbot. Als selbstständige muss ich zusehen, wie ich weitermache, mit den lauten Maschinen, Vibrationen oder Dämpfen. 

 

F!F: Wann bist du mit diesem Missstand an die Öffentlichkeit gegangen?

 

Johanna Röh: Ich habe zunächst auf Social Media darüber geschrieben, da war ich im vierten Monat schwanger. Und es haben sich viele selbstständige Frauen gemeldet, die in einer ähnlichen Situation waren oder Erfahrungen geteilt haben, wie schwierig die Zeit für sie war, hochschwanger oder im Wochenbett.

 

Mir war klar, dass ich alleine nichts erstreiten könnte und auch nicht die Kraft dazu hätte. Also haben wir uns zusammen getan, Informationen gesammelt, und schließlich war klar: Aufmerksamkeit erwirken wir über eine Petition. So hatte immer der nächste Schritt Erfolg, und nach ungefähr zwei Jahren hat sich eine Eigendynamik entwickelt: Es gibt Menschen außerhalb unseres Vereins ,Mutterschutz für Alle!‘, die mit an einer Lösung arbeiten.

 

F!F: Wo steht ihr heute?

 

Johanna Röh: Der Petitionsausschuss des Bundestags hat über unsere Petition mit dem höchsten Votum ,zur Berücksichtigung‘ abgestimmt. Auch der Bundesrat hat entschieden, dass das Thema wichtig ist. Das Familienministerium hat zunächst eine Studie in Auftrag gegeben, um zu ermitteln, über wie viele Betroffene wir überhaupt sprechen und was die Absicherung kosten würde. 

 

Aber nichts davon ist bindend, es gibt noch keinen Gesetzentwurf. Auf den hoffen wir unter der neuen Bundesregierung. Ein gutes Zeichen: Der Mutterschutz für Selbstständige steht im Koalitionsvertrag! Die Weichen sind gestellt!

 

„Wenn ich ein Unternehmen gründe, dann will ich das solide und langlebig machen.“

 

F!F: Wie sehen die Zahlen aus?

 

Johanna Röh: Wir wissen, dass im Schnitt jährlich rund 27.000 Selbstständige aller Branchen schwanger werden. Ihre Absicherung würde insgesamt um die 229 Millionen Euro kosten, zumindest in der Kernzeit des Mutterschutzes. Das heißt, wir reden nicht über Unsummen – wenn wir diese Kosten auf die Gemeinschaft verteilen. Aber jede Frau allein muss derzeit über 8.000 Euro nur für die persönliche Absicherung in dieser Zeit aufbringen.

 

F!F: Was hätte dir während deiner Schwangerschaft noch geholfen?

 

Johanna Röh: In landwirtschaftlichen Betrieben ist es beispielsweise möglich, während der Schwangerschaft eine Betriebshilfe einzustellen. Was auch gewährleistet, dass der Betrieb weitergeht. Mir hätte das total geholfen und die Sorge erspart, ob ich meinen Gesellen am Ende noch bezahlen kann. Je nachdem, ob ich meine Aufträge hochschwanger fertig bekomme oder nicht. 

 

F!F: Das hat ja auch mit unternehmerischer Verantwortung, mit Nachhaltigkeit zu tun?

 

Johanna Röh: Ja, man kann das auf unterschiedlichen Ebenen sehen: Das Eine ist der nachhaltige Umgang mit den Dingen, die wir nutzen. Als Tischlerin kann ich versuchen, ihnen ein langes Leben zu geben. Indem ich Sachen baue, die Hand und Fuß haben, repariere, restauriere. 

 

Und dann ist da die Komponente: Wenn ich ein Unternehmen gründe, dann will ich das auch solide und langlebig machen. Und nicht den Betrieb bei Familiengründung schließen müssen, weil es diesen einen Stolperstein aufgrund meines Geschlechts gibt. 

 

F!F: Viel Erfolg weiterhin und alles Gute.

 

Das Interview führte Liane Borghardt.