Janina Kugel

Aufsichtsrätin, beraterin, Speakerin


„Vorleben ist enorm wichtig, um Veränderungen anzustoßen“

Janina Kugel arbeitete nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre zunächst bei Accenture, einer internationalen Unternehmensberatung. Später wechselte sie zur Siemens AG, wo sie nach Stationen im In- und Ausland schließlich als Personalvorständin und Top-Managerin Verantwortung für 380.000 Mitarbeiter:innen trug. Anfang 2020 verließ sie den Konzern und ist seither als Aufsichtsrätin und Senior Advisorin tätig. Die 51-Jährige ist Mutter von Zwillingen und lebt mit ihrem Partner in München. Mit F!F sprach die prominente Mitinitiatorin der #ichwill-Kampagne über alles, worum es in ihrem jüngst erschienen Buch „It’s now“ geht: Leben, Führen, Arbeiten.  

 

F!F: Du schreibst, dass dich deine ersten Berufsjahre in der Unternehmensberatung sehr geprägt haben, fachlich wie menschlich.

 

Janina Kugel: Ja, ich habe in der Beratung wahnsinnig viel gelernt. Vor allem, methodisch an Themen ranzugehen. Nach Schulabschluss und Studium hat man ein bisschen das Gefühl: Jetzt kann ich alles. Aber dann kommst du irgendwo an und stellst fest, dass andere noch viel mehr können als du. Von Menschen lernen, die aus Erfahrung wissen, wie man etwas anfasst oder besser nicht: Das ist eine ganze neue Art zu lernen, nachdem man die Bildungs- und Ausbildungssysteme verlassen hat. Es geht also auch um Demut.

 

Janina Kugel, Aufsichtsrätin, Beraterin Speakerin


F!F: Was meinst du damit?

 

Janina Kugel: Persönlichkeiten, die mich beeindrucken, sind sehr wohl auch demütig. Das bedeutet zum Beispiel zu wissen, dass es noch viel schwierigere Situationen im Leben gibt. Oder dass einem nichts geschenkt wird. Ich treffe immer wieder auf Menschen – Mitte zwanzig, gute Abschlüsse – die sagen: Was kostet die Welt?

 

„Fordern und respektvoll miteinander umgehen: Das geht!“

 

F!F: Findest du es heilsam als – wie du es nennst – Depp:in vom Dienst anzufangen?

 

Janina Kugel: Ja, gefordert zu werden und zu spüren, dass du dich gefälligst mal unterzuordnen hast. Und in diesem Unterordnen trotzdem gehört zu werden! Auch wenn ich schreibe, ich war die Deppin vom Dienst: Ich habe nie erlebt, dass meine Meinung oder meine Arbeit nicht geschätzt worden wäre. Aber für mich war es eine ganz wichtige Erfahrung, mich anzupassen. Das bedeutet nicht, dass es unmenschlich werden muss. Weder in der Art der Führung noch inhaltlich. Fordern und respektvoll miteinander umgehen: Das geht!

 

F!F: Anpassung klingt nicht nach gängigen Erfolgsrezepten.

 

Janina Kugel: Ich werde oft gefragt, wie ich erfolgreich geworden bin. Ich glaube, es war tatsächlich eine Mischung aus beidem: Zum Beispiel als ich Mutter wurde, zu lernen, dass ich mit meinen Bedürfnissen ziemlich weit hinten stehe. Und andererseits nicht die Charaktereigenschaften aufzugeben, die bedeuten: Ich kann was, ich will was! Auch, wovor Frauen sich oft versperren, dieses Machtstreben zu haben. Macht ist ja nicht nur hierarchische Macht. Sondern Macht ist auch gestalten, beeinflussen. Völlig positiv also, erst Machtmissbrauch wird negativ.

 

„Wenn ich an einem Problem hängen bleibe und andere mitdenken, wird es schneller und besser gelöst.“

 

F!F: Was bedeutet für dich gute Führung?

 

Janina Kugel: Von zehn Mitarbeiter:innen wollen alle ganz unterschiedliche Dinge von dir: Die einen brauchen weniger, die anderen mehr Hilfestellung, mehr dieses oder jenes. Genau diese Variabilität als Führungskraft zu haben ist für mich essenziell. Es gibt andererseits klar inakzeptable Verhaltensweisen: Vermeintlich kreative Chef:innen, die alle unterdrücken, entsprechen nicht meiner Vorstellung.

 

F!F: Welche Verhaltensweisen fandst du vorbildlich?

 

Janina Kugel: Ich persönlich habe es geschätzt, wenn man mir Freiräume gegeben hat: Das ist der Rahmen, mach mal. Und mir dann geholfen hat, in diesem Rahmen besser zu navigieren. Delegieren heißt ja nicht, Aufgaben verteilen und sich nicht mehr darum kümmern. Sondern weiter da sein, um zu beraten oder unterstützen. Außerdem bin ich besser, wenn ich mit anderen zusammenarbeiten kann. Sprich, wenn ich an einem Problem hängen bleibe und andere mitdenken, wird es schneller und besser gelöst. Ich habe diejenigen Führungskräfte geschätzt, die das ermöglicht haben.

 

F!F: Du hast selbst Schritt für Schritt Führungskarriere gemacht, von der Teamleiterin bis zur Personalvorständin. 

 

Janina Kugel: Von außen mag das perfekt aussehen. Aber natürlich sind in den jeweiligen Jobs auch Dinge passiert, die nicht toll waren, die Niederlagen waren. Mal zu verlieren gehört mit dazu. Jeder von uns macht jede Woche Fehler. Was ist denn daran das Problematische? Das heißt ja nur, daraus zu lernen und anzupassen.

 

„Man muss seine Ziele miteinander abwägen. Aufschreiben zwingt dich, ehrlich zu sein.“

 

F!F: Hast du einen grundsätzlichen Tipp für Karriere-Entscheidungen?

 

Janina Kugel: Viele Menschen streben nach bestimmten Positionen, weil sie von außen betrachtet eine bestimmte Bedeutung für sie haben. Aber die Frage ist bei jedem Schritt in diese Richtung: Bin ich bereit, den jeweiligen Preis, den diese Position hat, zu bezahlen? Also immer wieder reflektieren: Bin ich noch auf dem richtigen Weg? Ich gebe den Tipp, Listen zu machen: Was kann ICH, was will ICH? Private Dinge, berufliche Dinge, die ganze Mischung.

 

F!F: Was stand oder steht auf deiner Liste?

 

Janina Kugel: Die Prioritäten im Leben verändern sich. Auf meiner Liste stand, global zu arbeiten und auch Kinder haben. Damit war für mich klar, bestimmte Berufswahlen so zu treffen, dass ich beides haben konnte. Ich bin ja erst mit Mitte 30 in den Personalbereich gegangen und habe lange angestrebt, in eine Geschäftsverantwortung zu gehen. Aber ich dachte, vermutlich ist es in einer Personalfunktion einfacher, auch noch eine Familie zu managen als global auf der Welt Kunden zu betreuen. Man muss seine Ziele miteinander abwägen. Aufschreiben zwingt dich, ehrlich zu sein. Wenn A mit B torpediert, musst du dich entscheiden. Wenn du dann A wählst und kriegst dafür B nicht, dann ist es ok.

 

F!F: Hattest du es buchstäblich auch auf dem Zettel, Karriere zu machen?

 

Janina Kugel: Ich wollte gestalten und Freiräume haben. Ich wusste: Will ich eine Karriere machen oder zumindest die Voraussetzungen dafür schaffen, muss ich international arbeiten. Also war ich in der Beratung international tätig, für Siemens in China, in Italien. Das war fürs Privatleben nicht immer der beste Zeitpunkt. Für die Erfahrungen war ich immer dankbar. Wenn man mich also fragt: Hast du deine Karriere strategisch geplant? Die Voraussetzungen: ja. Aber es gibt immer auch Elemente, die kann man nicht planen.

 

„Jede exponierte Verantwortung hat auch einen Preis.“

 

F!F: Wie Jobs sich anfühlen, weiß man sowieso erst hinterher. 

 

Janina Kugel: Es gab in meiner Zeit als Vorständin Themen oder Erlebnisse, die hätte ich mir nie so toll vorgestellt. Oder nie so schrecklich. Obwohl ich jahrelang eine Ebene unter Vorstand gearbeitet hatte.

 

F!F: Was ist an der Spitze anders?

 

Janina Kugel: Du bist „last man“ oder „last woman standing“, also die letzte Instanz, die Entscheidungen trifft und die Verantwortung dafür tragen muss. Je größer die Verantwortung, desto größer die Tragweite der Entscheidungen. Du wächst, weil du üblicherweise niemanden mehr hast, mit dem du dich abstimmen kannst. Und das häufig unter enormen Zeitdruck. Das ist anders als auf den Ebenen drunter. 

 

F!F: Du musstest bei Siemens auch schwierige Entscheidungen treffen, Werksschließungen und Stellenabbau verkünden, und dafür herbe Kritik einstecken.

 

Janina Kugel: Jede exponierte Verantwortung hat auch einen Preis. Und Personaler:innen sind immer diejenigen, die Stellenabbau managen müssen. Das vergessen die meisten. Als Person des öffentlichen Interesses bekommt man Lob oder genauso Prügel. Das Lob ist schön, die Schläge tun manchmal weh, aber so sind solche Rollen. Aber wenn ich als Vorständin angegangen wurde, wusste ich letztlich: Ich werde in meiner Rolle angegangen. Das eine ist die Kugel im Job. Das andere die Janina als Person.

 

F!F: Wie ist es dir gelungen, im Privaten die berufliche Rolle abzulegen?  

 

Janina Kugel: Wer Kinder hat weiß, dass wenn man nach Hause kommt nur deren Wünsche und Bedürfnisse zählen. Ihnen ist es egal, was an dem Tag in der Firma war oder wen man heute in Berlin oder sonst wo auf der Welt getroffen hat. Das erdet ungemein. Meine Zufriedenheit kommt aus diesen unterschiedlichen Lebensbereichen. Aber gleichzeitig wusste ich immer: Am Ende zählt die Familie.

 

„Ich muss sagen, dass ich jetzt etwas für meine Familie mache und deshalb nicht mehr präsent sein werde. Damit andere das auch tun können!“

 

F!F: Glaubst du, dass der Vorstands-Job in einem internationalen Konzern je wirklich familienfreundlich sein kann?

 

Janina Kugel: Das kommt auf die Definition vom familienfreundlich an. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Aber ich habe noch nie ein Modell gesehen, wo jemand an der Spitze einer Organisation nicht die volle Verantwortung tragen muss. Das nimmt bei Großkonzernen viel Zeit in Anspruch. Aber was sich noch ändern kann, ist die Arbeitsweise. Als die Kinder klein waren und ich früh aus dem Büro bin, um sie von der Kita abzuholen, habe ich das nicht explizit gesagt. Mein Team und mein Chef wusste das natürlich. Aber je höher ich kam, desto klarer wurde mir: Ich muss sagen, dass ich jetzt etwas für meine Familie mache und deshalb nicht mehr präsent sein werde. Damit andere das auch tun können! Vorleben ist enorm wichtig, um Veränderungen anzustoßen. 

 

F!F: Zwischen 17 und 21 Uhr war bei euch Familienzeit, dann hast du dich noch mal an die Arbeit gesetzt. Arbeitsrechtlich bewegt man sich mit Flexibilität oft in der Grauzone…

 

Janina Kugel: Ja, unser Arbeitsgesetz braucht dringend Reformen, damit mehr Flexibilität möglich ist. Aber wenn es um Veränderungen geht, erzähle ich gerne von dem YouTube-Video, „Leadership Lessons from a dancing Guy“, von einem, der sich traut, als erster auf dem Hügel zu tanzen. Neulich habe ich einen Impulsvortrag zu mehr Flexibilität gehalten, und es kam der Einwand, die Regeln gäben das nicht her. Ja, ich weiß! Aber es geht doch darum, diese Regeln zu verändern, die vor zehn, zwanzig Jahren entstanden sind. Also brauchen wir den Mut dieser Menschen, die als erstes, zweites oder fünftes auf dem Hügel tanzen und die anderen mitziehen.

 

F!F: Apropos Vortanzen: Für die Kampagne #ichwill hast du dich mit Mitstreiterinnen aus Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft erfolgreich für eine verbindliche Frauen-Quote in Vorständen großer deutscher Unternehmen eingesetzt. Glaubst du, unser Land braucht mehr zivilgesellschaftliche Initiativen für politische Richtungswechsel?

 

Janina Kugel: Ich glaube, dass unser Land zu wenig große Strukturreformen anstößt. Und wenn sich nach Jahren, im Falle der Quote nach Jahrzehnten, der Debatte nichts bewegt, dann wird klar, dass ohne Druck auch weiterhin nichts passieren wird. Abwarten, aussitzen und hoffen, dass sich das Problem schon irgendwie löst, ist nicht der richtige Ansatz.

 

„So viel Spaß, neue Dinge zu lernen und zu machen, wie ich jenseits der 40 hatte, hatte ich unterhalb der 30 nie.“

 

F!F: Große Verantwortung, viele Arbeitsstunden, Reisen: Hält man das anstrengende Vorstandsleben länger als fünf, zehn Jahre durch?

 

Janina Kugel: Das geht schon, letztlich muss es jede und jeder für sich entscheiden. Aber mein großes Plädoyer ist: Deutschland ist fixiert auf diese gradlinigen Karrieren. Warum muss ein Lebensweg bis zur Rente eingeschlagen werden? Wenn man mir zum Beispiel sagt, ich hätte ja so viel Macht aufgegeben, dann frage ich: Tatsächlich, habe ich das? Wird Macht über eine Rolle definiert? Oder über Themen? So viel Spaß, neue Dinge zu lernen und zu machen, wie ich jenseits der 40 habe, hatte ich als junge Frau nicht. So viel Freiheit wie jetzt ebenso wenig.

 

F!F: Streben deiner Erfahrung nach Männer mehr nach Status als Frauen?

 

Janina Kugel: Das hat weniger mit dem Geschlecht zu tun, als mit der Persönlichkeit. Ich habe ganz viele Männer mit Sachbezug kennen gelernt genauso wie Frauen, die nur an ihrer Machtabsicherung orientiert waren. Insofern hat gute Führung vor allem mit Mensch sein zu tun und – da komme ich wieder zum Eingang zurück – mit Demut und dem Wissen, dass es Leute um einen herum gibt, die viel exzellenter sind. In dem oft zitierten Spruch steckt viel Wahrheit: Spitzen-Leute stellen Spitzen-Leute ein. Zweitklassige bloß Drittklassige. 

 

F!F: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Liane Borghardt.