Werner Albrecht

vorstand stadtwerke münchen


„Nehmt den Platz ein, er steht euch zu!“

Werner Albrecht, 60, ist seit acht Jahren Personal-, Immobilien- und Bädergeschäftsführer und gleichzeitig Arbeitsdirektor bei den Stadtwerken München (SWM), einem der größten kommunalen Versorgungsunternehmen Deutschlands. Nach Ausbildung zum Verwaltungsangestellten in der Kommunalverwaltung arbeitete Werner fast 20 Jahre für die Gewerkschaft ÖTV, später ver.di. 2003 kam er zu den SWM und war dort im Bereich Personalpolitische Grundsatzfragen tätig. 2007 wechselte er in das Büro der Geschäftsführung und übernahm später dessen Leitung. 2013 wurde er in die Geschäftsführung berufen. Als Führungskraft und dreifacher Familienvater ist er überzeugt: Care-Arbeit, Erwerbsarbeit und Führungsverantwortung sind teilbar.

 

F!F: Um Frauen zu fördern, setzt du bei den Männern an. Warum?

 

Werner Albrecht: Beim Thema Frauenförderung war für mich immer klar: Ein Schlüssel liegt darin, auch Männer zu ermutigen, über ihre Wünsche zu sprechen. Seit unseren ersten Management-Foren, einem regelmäßig stattfindenden Veranstaltungsformat für alle unsere Führungskräfte, sage ich: Männer, ich weiß doch, dass ihr anders arbeiten wollt. Ich werde versuchen, es mit euch zu organisieren. Am Anfang war mancher Mann noch zögerlich, darf ich es wirklich sagen? Meine Antwort lautete: nicht nur dürfen – sondern müssen! Nur dann werden wir Rollenbilder brechen. Welcher junge Mann will denn immer bis 20 Uhr im Büro sitzen? Statt sich zu Hause um Partnerin, Kinder, Hobbies oder egal was zu kümmern? 

Werner Albrecht, 
Foto: © The Point of View Photography


 

F!F: Weshalb, glaubst du, sind Männer noch zögerlich? 

 

Werner Albrecht: Jutta Allmendinger hat mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung eine Studie gemacht, die ich oft zitiert habe: 80 Prozent der Männer wollen anders arbeiten. In der Praxis tun sie es aber fast nicht. Als Gründe nennen sie Angst vor dem Karrierebruch oder das Gerede der Kollegen. Da sage ich: Menschenskinder, eure Frauen sagen doch auch mutig zu ihren Chef:innen, dass sie ein Jahr in Elternzeit gehen. Ihr kneift schon, wenn ihr mehr als zwei Monate nehmen wollt. 

 

F!F: Nehmen Väter bei euch im Betrieb längere Elternzeiten?

 

Werner Albrecht: Es werden immer mehr. Kürzlich haben wir eine Sonderausgabe unserer Mitarbeiterzeitung gemacht. Mit einer langen Fotostrecke von Vätern, ihre Kinder im Arm. Sie alle waren deutlich länger in Elternzeit, zwölf Monate, acht oder sechs. Das haben wir auch im Intranet veröffentlicht, und es gab viele begeisterte Kommentare. Das war noch mal ein Mutmacher. 

 

„Verabredet euch konsequent, teilt euch die Elternzeit, geht gemeinsam in die Teilzeit.“

 

F!F: Ist die Elternzeit ein Punkt, an dem sich Karrierewege scheiden?

 

Werner Albrecht: Elternzeit bedingt in vielen Fällen Teilzeit bei den Frauen und einen Karrierestart bei den Männern. Dazu gibt es auch Studien: Nach der Geburt arbeiten die Männer länger, weil sie zu Hause ihren Platz nicht finden. Was ihnen nachher bei ihrer Beförderung positiv angerechnet wird. Da trennen sich biografische Modelle! Darum sage ich immer: Verabredet euch konsequent, teilt euch die Elternzeit, geht gemeinsam in die Teilzeit. Dann arbeiten beide 30 oder 35 Stunden. Dann habt ihr in Summe das gleiche Einkommen, aber eine viel größere persönliche Zufriedenheit. Euer Kind erlebt euch beide mit euren geschlechterspezifischen Zugängen zu Erziehung viel intensiver. 

 

F!F: Als deine Kinder geboren wurden, gab es noch keine Elternzeit. Aber du hast bei einem ein Sabbatical gemacht und bei den anderen Teilzeit gearbeitet.

 

Werner Albrecht: Das Versprechen von mir und meiner Frau war von Anfang an, dass wir das gemeinsam machen. Und nicht, dass ich abtauche, Karriere mache und sie zu Hause sitzt. Heute ist es in der Praxis so: Ich bin Geschäftsführer, meine Frau ist Lehrerin und arbeitet drei Tage in der Woche. Das heißt, sie macht mehr Familienarbeit. Aber ich habe ganz klar meine Aufgaben, die ich unter der Woche und am Wochenende erledige. Und ich will auch einen aktiven Beitrag zum Thema Schule unserer Kinder leisten. Deshalb gehe ich zu den Elternabenden. Da war bei der Arbeit immer schon klar: Heute ist Elternabend und der ist wichtiger als euer Termin. Denn da geht es um meine Kinder und deren Zukunft.

 

F!F: Welche Reaktionen hast du erlebt?

 

Werner Albrecht: Auch Kindergarten-Termine wie Schultüte basteln habe ich zum Beispiel in meinen Kalender eingetragen. Das war erst mal spannend: Reagiert jemand mit Schnappatmung? Aber dann kam immer: Super! Deshalb kann ich nur sagen: Nennt mir offen eure privaten Termine, ich habe fast alle Möglichkeiten, darum herum zu planen. Auch die Laternenumzüge am 11.11. waren Pflichttermin: Das sind die Momente, an die man sich gemeinsam ein Leben lang erinnert. 

 

„Heute müssen wir uns als Recruiter damit auseinandersetzen, wer uns gegenüber sitzt: Nicht bloß eine Arbeitskraft, die wir einkaufen, sondern ein Individuum.“

 

F!F: Spürst du auch im Recruiting, dass sich Lebensvorstellungen verändert haben? 

 

Werner Albrecht: Ja, da gab es vor einigen Jahren ein schönes Erlebnis mit einem jungen Mann im Bewerbungsgespräch. Am Ende holte er einen Fragenkatalog hervor: Gibt es im Unternehmen Kindergartenplätze? Sind Teilzeit und Elternzeit möglich? Und es war klar: Hätte ich fünf Mal nein gesagt, hätte er sich bei Infineon, Knorrbremse, BMW oder Siemens beworben. Dieses Selbstbewusstsein finde ich toll. Heute müssen wir uns als Recruiter damit auseinandersetzen, wer uns gegenüber sitzt: Nicht bloß eine Arbeitskraft, die wir einkaufen, sondern ein Individuum. 

 

F!F: Genauso wie für Erwachsene gibt es ja auch für Kinder keine Einheitslösungen. 

 

Werner Albrecht: Bei meinen Kindern war nur eine Sache gleich: Dass sie alle lange nicht durchgeschlafen haben. Am nächsten Tag bei der Arbeit wieder seinen Mann oder seine Frau zu stehen, ist eine Belastung. Wenn meine Leute zur Arbeit zurückkehren, frage ich sie: Wie sind denn deine Nächte? Indem ich es ausspreche, haben sie eine Grundlage, mit mir über ihre Notwendigkeiten zu reden. Denn ich will ich ja wissen, wie es ihnen geht. Und ich erzähle auch Privates von mir.

 

„Nörgele nicht herum, die heutige Generation sei nicht belastbar. Nein, die lebt ein Modell, das du gerne selbst früher gelebt hättet.“

 

F!F: Aus welcher Ecke erlebst du Befremden oder Widerstände?

 

Werner Albrecht: Am Anfang hatte ich viele Kritiker unter den Älteren. Bis mir klar wurde: Durch das veränderte Verhalten der Jungen und mir als entscheidender Führungskraft wird ihnen vorgespielt, was sie versäumt haben. Tatsächlich hat mir einer auf einer Klausur erzählt: Er beneide die Jungen, denn er hätte damals auch gerne mehr mit seinen Kindern gemacht. Und ich habe ihm gesagt: Super, dass du das reflektierst. Zweitens, zeige den Jungen, dass du es richtig findest! Nörgele nicht herum, die heutige Generation sei nicht belastbar. Nein, die lebt ein Modell, das du gerne selbst früher gelebt hättest.

 

F!F: Welche Möglichkeiten siehst du, Arbeitszeiten zu flexibilisieren?

 

Werner Albrecht: Zum einen entwickeln wir gerade innerbetrieblich mit einem unserer Betriebsräte eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitflexibilisierung. Vor Corona war die Skepsis noch viel größer: Wir müssen die Leute vor Selbstausbeutung schützen! Sicher muss ich da als Führungskraft bei manchen Kandidaten aufpassen. Aber grundsätzlich gilt: Wenn ich beispielsweise für einen Vortrag Stichpunkte brauche, interessiert mich nicht, wann der Kollege oder die Kollegin sie erarbeitet hat. 

Was ich gleichzeitig tue: Ich bin stellvertretender Vorsitzender des kommunalen Arbeitgeberverbandes in Bayern und führe Tarifverhandlungen für den öffentlichen Nahverkehr in München und Bayern. Die Tariflogik legt oft harte Hemmnisse vor. Auch das wollen wir ändern und die Mitarbeiter:innen flexibler entscheiden lassen, ob sie weniger oder mehr arbeiten wollen. Denn viele möchten ein paar zusätzliche freie Tage haben. Umgekehrt möchten andere mehr Geld verdienen. Das kann ich relativ leicht abbilden: Bis Ende Mai teilst du mir mit, wie du ab dem nächsten Januar arbeiten möchtest. Das kannst du nach zwei Jahren ändern. Natürlich macht es das bei 10.000 Mitarbeitern komplexer. Aber es gibt zunehmend digitale Unterstützungsmöglichkeiten.

 

F!F: Und verschiedene Altersgruppen ergänzen sich mit ihren Wünschen. 

 

Werner Albrecht: Dazu habe ich nach einem Vortrag Folgendes erlebt: Jemand fragte: Ich bin seit 18 Jahren Führungskraft. Darf ich sagen, dass ich nicht mehr Führungskraft sein will? Da habe ich gesagt: Natürlich! Wahnsinn, wenn Sie eine Führungskraft spielen, die Sie geistig und körperlich nicht mehr sein wollen. Natürlich muss man solche Prozesse bewusst organisieren: Das war gut. Und jetzt macht er oder sie halt etwas Anderes. Gleichzeitig übernimmt jemand Neues die Führungsrolle mit anderer Motivation, mit anderen Ideen.

 

„Wenn mein Vertrag in zwei Jahren noch einmal verlängert wird, wäre ich fest entschlossen, mir die Geschäftsführerposition zu teilen.“

 

F!F: In vielen Köpfen herrscht ja noch die Vorstellung: Einmal Führungskraft, immer Führungskraft. Wie sehen deine Zukunftspläne aus?

 

Werner Albrecht: Ich kann mir gut vorstellen, auch meine Geschäftsführerposition zu teilen. Und zwar mit meiner Nachfolgerin, mit der ich zeige, dass das funktioniert. Wir haben doch erlebt, wie gut es ist, wenn zwei miteinander über die richtige Entscheidung diskutieren. 

 

F!F: Ihr erprobt das so genannte Top-Sharing schon mit zwei Bäderchefinnen als Doppel-Spitze.

 

Werner Albrecht: Ja, die Resonanz war irre: Toll, dass zwei junge Frauen jetzt miteinander durchstarten. Wir wollen jetzt alle unsere Stellen mit dieser Möglichkeit ausschreiben, genauso wie wir alle Stellen in Teilzeit ausschreiben. Mal sehen, ob sich noch mehr solcher Pärchen finden. Allerdings muss ich dazu sagen: Die beiden Kolleginnen haben schon vor der Bäderleitung in einem Tandem gearbeitet. Also, du musst ja nicht gleich Geschäftsführerin sein, sondern hast vorher schon Führungsaufgaben übernommen. Wenn ich das auf unteren Ebenen ausprobieren lasse, bin ich auch da zuversichtlich.

 

„In einem Unternehmen, in dem das Verhältnis Männer zu Frauen insgesamt 80:20 ist, muss ich die 20 Prozent in ihrem Selbstbewusstsein stärken.“

 

F!F: In eurem Katalog „25 für 25“ stellt ihr 25 Maßnahmen vor, mit denen ihr bis zum Jahr 2025 den Frauenanteil in eurer Belegschaft und Führungsetage auf 25 Prozent erhöhen wollt. 

 

Werner Albrecht: Am Ende wollen wir deutlich machen: Zu diesem Ziel gibt es nicht den einen Weg, sondern viele Ansatzpunkte. Auf einige dieser 25 Punkte haben wir den Aufkleber gemacht: Gilt explizit auch für Männer! Zum Beispiel Talent-Management oder flexible Arbeitszeiten. Aber andere Sachen werden wir vor allem für Frauen tun, um sie in ihrer Rolle zu stärken, ihnen Mut zu machen, sich zu vernetzen. Indem wir Entwicklungspläne mit ihnen machen oder ihnen Mentor:innen zur Seite stellen. In einem Unternehmen, in dem das Verhältnis Männer zu Frauen insgesamt 80:20 ist, muss ich die 20 Prozent in ihrem Selbstbewusstsein stärken: Nehmt den Platz ein, er steht euch zu! 

 

F!F: Wie finden die männlichen Kollegen das?

 

Werner Albrecht: Wir überarbeiten dieses 25er-Papier regelmäßig und stellen es im Intranet zur Diskussion. Da kommt immer wieder die Frage von den Männern: Bin ich jetzt auf dem Abstellgleis? Wenn heute 80 Prozent der Männer Führungskräfte sind, dann hätte ich als Mann keine Angst, dass morgen für mich nichts mehr übrig ist… Wenn wir das in dem ein- oder anderen Format nachdiskutieren, verstehen viele, was wir tun. Und dass es auch für sie für eine Chance ist, in ein anderes Mindset und in eine andere Zusammenarbeit zu kommen. 

 

F!F: Was möchtest du deiner Tochter und deinen Söhnen vor allem mitgeben?

 

Werner Albrecht: Sie sollen einen Lebensweg gehen, der auf Partnerschaft und Austausch basiert. Ich erzähle ihnen oft von meinen Eltern: Mein Vater hat bis zum Umfallen gearbeitet, bis zur Frühverrentung. Meine Mutter hat allein die Kinder betreut, den Haushalt gemacht, alles organisiert. Das war für mich schon kein Vorbild mehr. Für meine Kinder ist das unvorstellbar. Da haben sich Bilder weiterentwickelt und verankert.

 

F!F: Vielen Dank. Wir sprechen uns wieder.

 

Werner Albrecht: Sehr gerne.

 

Interview: Liane Borghardt